2012/08/IV


2012/08/IV

Eine weitere, relativ ereignisarme Woche. Immerhin ziehe ich jetzt das Schreiben in der DNB durch. Fünf Seiten, noch auszuformulieren, plus die wiederentdeckten Zwanzig. Keine großen Sprünge, aber es läuft. Außerdem habe ich Katzen gehütet. Und wieder mal festgestellt: Ich bin dann eher der Hundemensch.
Ding der Woche: „Wasserpinsel“ oder „Pinselstift“. Siehe (unten) den ersten (leicht missglückten) Versuch, damit eine Tuschezeichnung zu kolorieren. Ein paar der Farbverläufe find‘ ich schon ganz nett.
Gelesen: Hunter S. Thompson: Der Fluch des Lono. Zu Ende. Neben Totalität und Unendlichkeit für die Arbeit. (Immer noch nicht zu Ende, aber es… läuft.)
Gedacht: »Ich war erst auf einem Konzert in diesem Jahr. Das kann es auch nicht sein.« Und hab‘ Karten für We Were Promised Jetpacks, die Fehlfarben und Calexico geordert. Hier in der Stadt. Bei The Pains of Being Pure at Heart bin ich noch am Überlegen, ob ich sie mir ein viertes Mal anschau.
Gesehen: Im Kino: Total Recall. Das Remake. Kritik demnächst. Neue liebste Serie: Being Human (How I Met Your Mother oder The Big Bang Theory können nicht mein Scrubs-Nachfolger sein. Hier gibt’s zumindest Kittel. Und Werwölfe.)
festGestellt: Man kann Baldrian überdosieren. Nicht zu empfehlen. Gar nicht. Müde, ein aufgekratztes Frettchen.
Platte der Woche: Die Heiterkeit - Herz aus Gold. Und die EP von Bart and Friends.

Kurz, wirklich nur kurz, habe ich nachGedacht über F.s Vorschlag, den P-Schein zu machen und für ihn zu fahren:





Neulich dann, in Leipzig Südwest: »Ich habe zwar keine Ahnung, wo genau wir sind, aber ist das nicht irgend symptomatisch für das, was wir die conditio humana zu nennen pflegen?«

 
 

Sonntags. Nachgetragen.



Heißester Tag des Jahres

Halb verschlafen,
mit oder ohne Rausch.
Das Ende einer Woche,
die zu rein gar nichts
geführt hat außer
der Erkenntnis, ich,
hier zufällig geboren,
sollte den Pass tauschen.
Irgendwas weit nördlicher
gegen den Klimawandel
oder südostwestlicher
entgegen der Intuition.
Ich bin nicht in Tahiti,
auch nicht auf Hawaii
gewesen, noch habe ich
meine Lektüre darüber
zu Ende gebracht. Ich habe
das Buch nicht zu Ende
gelesen. Aber ich mag
Hunter S. Thompson.
Als Menschen.
Ich habe die beste Schwester
der Welt. Ich habe nicht gesagt,
Angst zu haben, und wieder
in der Depression zu enden.
Weil die ist längst da.
Ich habe keinen Menschen
im Faustkampf erschlagen,
noch bin ich gerade einmal
davon gekommen; ich habe
weder betrogen, gelogen,
noch mich irgendwie gemein
gemacht. Ich habe mir nicht
die Venen aufgeritzt, noch
die Vorderhirnfront an einem
Heizkörper angeschlagen, noch
anschließend angewiesen:
schreibt, es sei flüssiges
Confetti, für die Kinder.
Ich habe heute noch keine Frau
als Hure, als Schlampe, als Fotze
beschimpft, weil auch sie
wieder kein Ersatz für dich,
die Frau meines Leben, ist.
Noch habe ich nach einer gesucht.
Ich habe nicht die Ballkönigin geknallt,
bin nicht mit ihr davon gezogen,
ich habe mir nicht den letzten Schuss
gesetzt, noch mir irgend das Hirn
weggeblasen. Oder weggefickt.
Ich bin daheim gewesen.
Ich bin allein gewesen,
und habe nur
stumm vermisst.

Und jetzt
habe ich Schluckauf.
Schon seit zwei Stunden.

2012/08/19


Heute morgen 4:48 bin ich beim Spülen in Besitz der Weltformel gelangt und seither unantastbar

Du wirst sterben.
Akzeptier‘ das.
Das ist das Einzige.
Dann ist es einfach.
All die durchwachten Nächte,
von denen du jetzt weißt,
dass es dann besser ist,
sich gar nicht mehr
und gar nicht erst hinzulegen,
zumindest bei den zur Depression
Geneigten.
Und in einer solchen Nacht,
an deren Ende – was Wunder –
sich ein Morgen findet und du dich,
den Abwasch am Becken besorgend,
lösen sich all die Zweifel und das Hadern
plötzlich in feste Klarheit auf:
Es falsch, nach einem Sinn
von all dem zu fragen,
das heißt, die Frage ist
dann bereits schon
falsch gestellt.
Es gibt keinen.
Und, ja, es wird keinen interessieren,
wenn einst nur noch Staub und Eis
durch’s All lautlos treiben und die Erde
längst im Sterben von der Sonne
verschlungen worden ist.
Weil das ist Danach.
Das ist jetzt nicht Jetzt und Hier.
Und das ist keine Gaukelei,
keine metaphysische Hochstapelei,
noch billige Taschenspielertrickserei,
sondern so etwas wie das Seelenheil
für eine gegen ihre Mauern
anwallende Vernunft:
Denn, was wär denn so schlimm,
wenn es im objektiven Sinne
keinen Sinn des Lebens gäbe?
Die Frage ist doch, gibt es
diesen objektiven Standpunkt?
Und wer wäre Betrachter, wessen
Perspektive wäre dies?
Nagels Blick von nirgendwo?
Wer blickt denn da?
Gott?
Auf den berufen sich Atheisten
nun mal nicht gern in ihrem Hadern.
Und für die anderen –  die haben‘s
leichter – weil für die ist hier eh‘
nur Zwischenstation, die können
sich das Nach-dem-Sinn-Fragen
getrost auf‘s Jenseits vertagen
und dann selbst vorsprechen
beim Chef.
Aber steht einem ein solcher,
eine solche Instanz oder
so ein Standpunkt eben nicht
zur Verfügung und fällt damit
die objektive Sicht,
dann bleibt nur,
sich mit der ihm eigenen,
das heißt, subjektiven
Perspektive zu begnügen.
Der Mensch ist, wie Sartre sagt,
nicht wie die Dinge an,
sondern für sich.
Und Leben damit nicht sinnlos,
sondern nur nicht vorgegeben.
Im besten Sinne sinnfrei.
Nicht nutzlos,
sondern nutzenfrei.
Nicht-festgestellt
sei er als Tier,
sagt Nietzsche,
über den Menschen
und meint damit
doch frei,
sein Leben
nach ganz eigenem
Gewissen und Gutdünken
mit Sinn stets neu
zu erfüllen.
Zu erfinden.
Zu suchen.
Zu wollen.
Zu stillen.
Um dann fröhlich
zu verglimmen.

2012/07/21


Die empfindsamen Stunden emotional destabilisierter junger Männer oder
Vom Leben jenseits der 40 und einer Moral

Nachfolgend eine kurze Lektion im kontraintuitiven Verhalten
mitunter abgestumpfter Gemüter oder
Ein Vorspiel auf dem Boden eines Einkaufszentrums,
eines großen, das sich genau so zugetragen hat:
Da war diese Frau, die, als ich grad‘ aus der Hocke kam –
ich hatte ehedem mein Kleingeld auf dem Boden verteilt –,
ein 20-Cent-Stück vom Boden klaubt,
und fragt: Haben Sie das jetzt verloren?
Meinerseits: Ja, das kann durchaus sein.
Danke auch –
– na, dann habe ich das jetzt gefunden!

Und packt’s ein.
Es gibt eine dreiste Dummheit, die schier sprachlos macht.
Ich, sprachlos, perplex, weiß nicht, wie man so werden kann.
Ich weiß nicht, wie man so überhaupt die 40 erreicht, noch,
wie man diese ohne Furcht noch überschreiten kann.
Ich weiß nicht, wie man so leben kann: als ob.
Als ob sich da nicht auch mal einer auf mich stürzen kann,
selbst für lumpige 20 Cent, und all die Schäbigkeit
durch all den angestauten Frust und das aufgedunsene Fett
hindurch prügeln könnt, um auf der Brust sitzend
mir die hohlfeile Selbstgefällig- und Gehässigkeit
und die zu einem Lächeln erstarrte dreiste Dummheit
bis auf die Wangenknochen heraus zu prügeln.
Weil auch einen solchen Menschen gibt es
doch dann bestimmt. 20 Cent drauf‘.
Aber vielleicht sagt man sich ja auch:
Mitte 40.Von der Statur mehr mit einem bulligen Elefanten
als mit den zierlichen Rundungen einer Frau gemein. Jetzt ist
auch alles egal. Den mach‘ ich mir den Spaß.

Nur weiß ich nicht, wie man so 40 werden kann.
Oder, eingeworfen, ein anderer Satz, fast ein Zuruf
aus einer verlorenen Zukunft (oder auch Vergangenheit):
Es gab fast sieben Milliarden Menschen auf dem Planeten.
Daher zog ich es vor, allein zu bleiben.
Oder aber:
Die Welt war korrupt, die Menschen korrumpiert,
all so spielte ich mit.
Ich glaube nicht, dass dieser Satz so stimmen kann.
Ich glaube nicht, dass man die Welt verlassen muss,
wie man sie vorgefunden hat.
Das schließe von einem Sein auf ein Sollen.
Ich glaube nicht, dass mein Kanon von auferlegten Regeln
mich besser macht, aber dass zumindest zu versuchen,
gut zu sein, Ansatz und Inventar einer gelungenen,
einer menschlichen Lebensführung ist.
So glaube ich etwa, dass man einem anderen Mann
seine Frau nicht streitig macht.
Was nicht heißt, dass man es ihr nicht sagen kann,
weil ich auch glaube, das Leben ist endlich
und weil es doch nur aufrichtig ist, zu dem,
was man fühlt, auch zu stehen.
Ich glaube, man muss aufrichtig, integer und redlich
und – in gewissen Fällen – auch unnachgiebig
hartnäckig sein.
Ich glaube nicht an ein Jenseits, nicht die ewige Erfüllung
und auch nicht die Auferstehung am Sankt-Nimmerleins-Tag.
Aber ich glaube, dass Menschen bereits im Diesseits
die Hölle bereitet werden kann.
Und ich glaube auch, dass man dies so nicht akzeptieren kann.
Ich glaub‘ nicht, dass man allein die Welt groß verändern kann,
aber Veränderung fängt im Kleinen an.
Ich glaub‘ schon gar nicht, man kann jetzt und zu jeder Zeit
der Regierung unumschränkt trauen.
Was aber nicht heißt, man müsste sich seine ganz eigene
wilde Weltverschwörungstheorie bauen.
Ich glaube nicht an das Streben nach Besitz, aber daran,
dass man seine Zeit verschwenden kann.
Ich glaube nicht, dass einer immer nur wider sein Herz
ackern kann, um sich all die Dinge leisten zu können,
all die Projektionen seiner wirklichen Wünsche.
Ich glaube, dass man nicht ohne das Gefühl
einer Selbstbestimmung leben kann.
Nicht mal, der Illusion davon.
Obwohl, dies fällt manch anderem
wohl merklich leichter.

Nachsatz vom harten Bodenfließenboden
in einer kalten mickrigstädtischen Realität:
Und bin ich dann mal groß
nun, ja, oder eher alt,
und habe das Verlangen,
mich vielleicht auch niederzulassen,
dann kauf‘ ich mir kein Haus,
dann kauf‘ ich keinen Loft,
dann kaufe ich mir einen Garten.
Eine kleine Parzelle, so richtig
mit Auflagen, Satzungen und Statuten,
ein richtiger Strebergarten.
Den lass‘ ich dann verwildern,
eine wilde Wiese,
wie vor meinem alten Haus,
auf dass die Nachbargartennazis plärren
aber das ist ja unerhört
und der steht dann ganz epikureisch
jedem offen: ja, selbst Frauen, Sklaven
und Metöken, ja, jedem, der
die Gartenphilosophierei
dann nicht stört.


Sonntags, kurze Weile

Erdbeertorte kredenzt
Zu Wie geht es eigentlich
K.? Brustkrebs operiert
Die halbe Niere auch
Jetzt die Chemo. Die neue
Einfassung für Omas Grab
Ist da der Bruder zahlt‘s
Auch mit das heißt wenn
Sie‘s nicht merkt. O.s Baby
Lacht schon steckt die
Zunge raus wenn man sie
Ihm zeigt. Was machst du
Eigentlich an deinem
Sechszigsten Geburtstag
Was Besondres? Vater hat
Auf dem Friedhof wieder
Kenn ich! gespielt ge-
Sagt die waren früher
Auch schon Nachbarn
Und hat auf den leeren Fleck
Von W. und N. seinen Eltern
Gezeigt. Während Mutter die
Die noch da sind
Beackert habe ich mich
gefragt Wozu? Noch
Ist Polen nicht verloren
Sikorski stirbt bei einem
Flugzeugabsturz vor Gibraltar
Stalingrad Katyn Churchill
Roosevelt Stalin fuhr
Im Panzerzug nach Teheran
Weil auch er unter Flugangst
Litt. Ein Zweig vom Kirschbaum
Für das Nagegetier Sauer-
kirschen Johannisbeeren für
Unterwegs aus Vaters
Garten. Du wolltest doch
Keine Kirschen, jetzt
Hast du welche! Früchte rot
Rotrot im Schwarz des
Kaltkalten Wasserbecken-
Strahls. Ich mache Salat
Für‘s Abendbrot. Du ist
der weiße Käse noch gut?
C. erzählt wir überlegen
Aber ich weiß auch nicht mehr
Welche Art Krebs die Tante T.
Hatte vermutlich auch meta-
Stasiert. Der Salat schmeckt
Aber bitter. Treffen wir uns
Dann morgen in der Bibliothek?
Ich verweigere! Ihr könnt
Gerne buchen aber
Mitfliegen werd ich
Nicht wir reden doch
Vom nächsten Jahr? Im Mai
Im Mai werde ich
Fertig sein.
Vorher lese ich
Noch Korrektur für A.
Ab halb zwei. Mein Herz
Ist ein klumpen Fleisch
Der keine Metapher weiß.
Andererseits hat S.
Auch neulich noch gesagt
Sie mag gebrochene Verse
Nicht ich sehe weiter
Fern und der Gigantoraptor
Ein Oviraptorid wortwörtlich
Ein Eierdieb so in der Art
Wenn auch von weit
Stattlicherem Wuchs aber
Vermutlich auch nicht
Ohne Flügelkleid sagen
Sie jedenfalls da
Sei auch schon
Bereits lange
Ausgestorben.

2012/07/09


Aus dem Leben eines Poolboys oder
Meine Eltern haben mich
gegen einen Schwimmbadroboter ersetzt

grolle. nimm‘ all deine wut
nimm deinen hass all die
unverhohlene empörung und
das sich nicht mitfindenab

und schleuder es der welt
entgegen die sich doch längst
mit mediokeren hollywood-
enden zufrieden gegeben hat

wo das mädchen statt wirklich
probleme zu haben sich nur
für den falschen entschieden
statt diesen erschossen hat

wo sie dann einen findet der
besser ist und viel hübscher
und ganz bestimmt auch viel
reicher als reich als arm

und als ob das wirklich zu tun
hätt‘ mit der welt wo man dir
nicht mal offen sagt du könntest
es nicht weil augenscheinlich

niemand den schneid sich festzu-
legen schier die eier hat und
obwohl doch dies das schreiben-
können doch stets das einz‘ge war

was man dir bescheinigt hat es sei
an dir gut stattdessen hörst du auf
damit wirst grau steif verstummst
auch wenn es nur manchmal noch

herausbricht du gibst gute miene
zu wessen spiel auch wem du
lächelst ihm nicht zu gibst dich aber
offen und heiter und irgendwann

bist du drauf und dran – weil du
doch nicht unbedarft mitansehen
kannst und als ob das nicht auch
jeder so benennen kann aber

die tage kreisen um nichts me ipse
ich allein nichts anderes das
unter der sonne schein verdorrt
so als ob und wo keiner nicht

ein mal um mehr kämpft als das
ihm eigene wohlbefinden und sein
oder krampft und stockt ob nur
der nachrichten wo sie sagen

dass... statt-, währenddessen
und dann findet man das glück
dräuend hinter weiß umzäunten
palisaden am hang gelegen je

nach bedarf und auf wunsch
auch vor der stadt mein haus
mein baum die frau dir mir
unlängst einen runter geholt

hat hier geht‘s uns gut hier
find ich das womit ich mich
längst nicht abgefunden hab‘
hier sitz‘ ich des nachts und

wache. wache auf beim grollen
der ersten erntemaschinen
bang aber nichts nur der himmel
stürzt ein und begräbt die über

die du wachst. doch woher
kommt das? ich mein: dieser
zorn all die unverwundene
angst um die und für andere

die sind sie dir erst nah
vor allem eines sind: not-
wendige last. und du nie gut
genug auch nur für einen.